Zwischen Wellness und Melancholie
Verheißungsvoll startete Philipp Amelung als Vorsitzender des Kulturvereins Zehntscheuer. Zwei perfekt aufeinander eingespielte Solisten, Flötist Henrik Wiese und Hochschulrektor Stefan Palm am Piano, boten am Sonntag hochkarätige Hörerlebnisse mit Sonaten von Mozart und französischer Moderne. Über den Sulzauer Hof zog sich eine nicht enden wollende Warteschlange, geduldig reihten sich die Konzertbesucher weit hinten bei der Eich ein.
Mit einem energischen Flötenton eröffnete Henrik Wiese die Sonate B-Dur, KV 454. Wolfgang Amadeus Mozart hatte diese für eine junge Geigerin geschrieben und bei der Uraufführung selber den Klavierpart ohne Noten übernommen und damit seinen Humor erkennen lassen. Etwas davon wurde auch in diesem Konzert deutlich, denn Wiese verwendete für dieses effektvolle Stück die Transkription für Flöte von Konrad Hünteler, obwohl, wie er angab, er auch selber solche Experimente unternehme.
Die Kunstfertigkeit beider Interpreten, dazu noch die hervorragende Akustik der Zehntscheuer, vermittelte einen überraschenden Klangeindruck. Während in Referenzaufnahmen die Instrumente mitunter verwischen, traten hier mit jedem Ton in allen Verzierungen zwei ebenbürtige und klar erkennbare Partner zutage. Im Allegro des ersten Satzes wetteiferten die Beiden in Spielfreude, sich mal leicht vordrängend, mal wieder dem Anderen den Vortritt überlassend. Im Andante in Es-Dur des zweiten Satzes war die Flöte voll in ihrem Element mit klagenden dunklen Partien, im dritten Satz füllte ein ausgeprägtes Forte den Raum, bis beide Instrumentalisten nach einem geschmeidigen Dahingleiten dem glanzvollen Abschluss entgegen jagten.
Von völlig anderem Charakter schloss sich daran die Ballade für Flöte und Piano des Schweizer Komponisten Frank Martin an. Dieses 1939 komponierte Stück gehört inzwischen zu den Klassikern der Flötenliteratur. Dieses zwölftönig orientierte Opus zwischen konservativen und avantgardistischen Strömungen ließ kurzzeitig an Elemente wild-ausgeprägten Jazz denken, während sich das Piano in ruhigen Ostinato erging. Nach Passagen wild hingeworfener Tonfetzen versank Wiese, ganz in sich versunken, solistisch in einer elegischen Melodie. In steigernder Dynamik wuchs Palms Pianobegleitung zu einem kochenden Brummen an, gegen Ende vermeinte man Vogelgezwitscher zu vernehmen, das Wiese seiner Flöte entlockte, bis Palm diesem Stück einen wuchtigen Abschlag versetzte.
Von der Trauer zur Wohlfühloase
Mozarts Sonate a-Moll KV 310 gilt als seine dunkelste, steht sie doch im Zusammenhang mit der trüb-verzweifelten Stimmung beim Tode seiner Mutter bei einem Paris-Aufenthalt. Mit festem Anschlag und Pedaleinsatz bei einem zügigen Tempo vermied Prof. Palm als Solist jede unnötige Sentimentalität, womit er besonders die Studierenden seiner Hochschule für Kirchenmusik beeindruckte. Den Wechsel zwischen Aufbäumen und Resignation setzte er mit heftigen Akzenten im markanten Einsatz der linken Hand bei gleichzeitig flirrendem Tremolo der rechten. Wuchtig dunkle Schläge des abschließenden Presto-Satzes machten auf bedrückende Weise durchdringende Trauer deutlich.
(Hans-Michael Greiß)