„Es ist alles Swing, Tanz und Groove“

Klavierdozentin Nieneke Hamann verlässt nach 40 erfolgreichen Jahren die Rottenburger Hochschule.

„Kann ich bitte einen Kugelschreiberschleifer haben?“ – Am Anfang muss Nieneke Hamann beim Deutsch noch ein wenig improvisieren. Und ältere Studierende staunen erst einmal, dass die neue Klavierdozentin gleich alt oder gar jünger ist. Denn als die gebürtige Niederländerin vor 40 Jahren, im September 1983 mit dem Unterricht beginnt, ist sie gerade 26 Jahre alt. Damals, als Hamann, die in Maastricht (NL) und Winterthur (CH) studiert hat, zu unterrichten beginnt, ist die heutige Kirchenmusikhochschule noch Kirchenmusikschule. Wenig später wird Nieneke Hamann auch Dozentin an der Musikhochschule Trossingen.

Fachlich ist Nieneke Hamann in Rottenburg von Anfang an voll in ihrem Element. Das liegt nicht nur daran, dass sie mit ihrem Solistenexamen in Klavier und einem Kammermusikstudium hochqualifiziert für diese Stelle ist, sondern auch daran, dass sie der Kirchenmusik nahesteht. Schon Hamanns Mutter ist Kirchenmusikerin gewesen und hat in ökumenischer Offenheit drei Kirchenchöre geleitet: einen protestantischen, einen reformierten und einen katholischen- drei Chöre, die die Tochter immer wieder begleitet hat. Als Nieneke Hamann dann später während des Studiums selbst einen katholischen Kirchenchor leitet, packt sie die Neugierde auf das, was dahintersteckt und absolviert -als Protestantin- neben den beiden anderen Studiengängen auch noch ein Studium in katholischer Kirchenmusik. Dazu kommt noch ein Jahr Chorleitungsstudium. Bei einem der Kammermusikkurse, die sie besucht, lernt sie ihren späteren Mann, Gerhard Hamann kennen, Prof. für Cello und Kammermusik an der Trossinger Hochschule.  

Nieneke Hamann ist schnell integriert in Rottenburg. Sie erzählt von dem intensiven Miteinander und Austausch unter den Kolleginnen und Kollegen, von Teamteaching und Stammtisch, dem gemeinsamen Essen der Studierenden, das ein eigener Koch an der Hochschule zubereitet hat, ihrer Willkommenstaufe durch die Studierenden, von der Sekretärin Ursula Schäfer, die damals mütterlich für alle und alles gesorgt hat und ihr zur Seite steht, vom langjährigen Direktor Bernhard Schmid und seiner mitmenschlichen, integrativen Art, kurzum der starken Gemeinschaft an der Hochschule. Dazu kommen gemeinsame Projekte: Konzerte, auch Abschiedskonzerte für KollegInnen und Reihen, wie die Mendelssohntage 2004, an denen sowohl die Orgellehrer als auch die Gesangs- und Klavierdozenten mitgewirkt haben. Sie wirkt als Korrepetitorin und begleitet viele der Kirchenmusik- und Gesangsstudierenden bei Ihren Gesangsabschlussprüfungen.  

Daneben gibt sie Solokonzerte, konzertiert bis zum Tod ihres Mannes mit dem Hamann Trio, außerdem mit der Geigerin Prof. Maria Lott und mit dem Reger-Vokalensemble Ulm. 2018 veröffentlicht sie eine Solo-CD. 

Nieneke Hamann engagiert sich für die Hochschule und die Studierenden. Sie wirkt mit bei dem aufwendigen Prozess, in dem die Kirchenmusikschule den Hochschulstatus erwirbt, später beim Bologna-Verfahren, als die Studiengänge in Bachelor und Master gegliedert und völlig neu aufgestellt werden müssen und bei den verschiedenen Bewerbungsverfahren am Haus, die im Kontakt mit der Diözese intensiv vorbereitet und dann in mehreren Gremien entschieden werden müssen, ist ihre Expertise und Fähigkeit zu Kommunikation und Konfliktlösung ebenso gefragt wie bei vielen anderen Belangen: 20 Jahre lang hat Nieneke Hamann im Senat mitgearbeitet, 12 Jahre ist sie, gemeinsam mit Gesangskollegin Christine Müller, Vertrauensdozentin für Studierende und Lehrende. Dass das Klavier essentiell ist für das Kirchenmusikstudium ist für Nieneke Hamann keine Frage. “Am Klavier”, sagt sie, „lernt man das Musizieren.“ Denn das Klavier reagiert, anders als die Orgel, ganz unmittelbar auf die Körperspannung. Wenn man weiß, was die Musik will, dann offenbart sich auch, welche technischen Ansprüche das jeweilige Stück stellt. Musizieren am Klavier ist für sie wie ein Kreis, der durchs Pedal und durch alle Gelenke hindurch in den Fingerspitzen endet. „Es ist alles Swing, Tanz und Groove”, sagt Nieneke Hamann, die schon als Studentin Kommilitonen Unterricht in Standardtanz erteilt hat. Wer das im Klavierunterricht erfahren hat, kann auch der Orgel leichter diesen Groove entlocken. Generationen von Studierenden sind ihr für diesen Ansatz dankbar.  

Wenn Nieneke Hamann die Hochschule verlässt, gibt es natürlich auch ein großes Abschiedsfest. Der Ruhestand wird sanft eingeläutet, in Trossingen, wo Hamann lebt, unterrichtet sie noch ein Jahr länger. Doch es warten auch schon Haus und Garten, Hund Yumi und das Wohnmobil, die zwei Söhne, beides Musiker, Lebenspartner Marc und nicht zuletzt das unerschöpfliche Klavier auf die Zeit, wenn mehr Zeit ist. Nieneke Hamann gilt der Dank für 40 Jahre Musik, Hingabe und pädagogische Exzellenz an der Rottenburger Kirchenmusikhochschule. 

(Luise Wunderlich, Rundfunksprecherin, Sprechkünstlerin und Dozentin.
An der Hochschule für Kirchenmusik der Diözese Rottenburg-Stuttgart unterrichtet sie die Fächer Sprecherziehung, Phonetik und Stimmphysiologie.)